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Nicht nur Pi taugt nichts ohne Metainformation

piIst Pi eigentlich normal? Wenn eine Zahl eine „normale Zahl“ ist, dann bedeutet dies, dass in dieser Zahl jede Ziffer und auch jeder beliebig lange Block von Ziffern gleich häufig vorkommt. Es gibt die eine oder andere Zahl, bei denen Normalität nachgewiesen ist, für Pi wird dies bisher nur vermutet. Vieles spricht jedoch dafür, z.B. diese Visualisierung eines Random Walks der Zahl Pi in der Basis 4. Es kann auch sein, dass eine Zahl in der einen Basis normal ist, in einer anderen aber nicht. Egal.

Gehen wir davon aus, dass Pi normal ist. Dann steckt in Pi jede beliebige Abfolge von Ziffern. Mein Geburtstag z.B. taucht in Pi zum ersten Mal an Position 38221746 auf. Wenn diese Eigenschaft für Pi auch in einer hexadezimalen Basis gilt, dann ist in Pi auch jede Datei vorhanden, die du auf deinem Computer gespeichert hast. Jeder Songtext, den du dir mühsam zusammenbastelst, ist schon in Pi gespeichert. Genau so jedes aufwendig komponierte Foto. Jede Liebes-WhatsApp gibt es schon. Jeder Fehler wurde in Pi schon gemacht. Jeder Bugfix eines Programms ist schon da. Nichts, was es nicht gibt. Pi weiß einfach alles.

Man kann diese Eigenschaft sogar als Dateisystem nutzen (das sog. πfs). Der Clou: Anstelle des Inhalts einer Datei speichert man einfach nur, wo man die Information in Pi findet und wie lange die Information ist. Fertig. Klar hat dieses Vorgehen so seine Problemchen: Man muss Pi erst einmal so weit generieren, bis man den eben mit der GoPro erzeugten Film auch darin findet, und wenn man den Film wieder anschauen will muss man Pi wieder sehr mühsam generieren. Außerdem kann der Index natürlich schnell größer werden als die eigentlich zu speichernde Datei. Trotzdem finde ich diese Vorstellung extrem faszinierend!

Schon vor langer Zeit wurde (eher scherzhaft) behauptet, man solle sich davor hüten, Pi in großer Länge auf seinem Rechner gespeichert zu haben, denn damit mache man sich schnell strafbar:

  • Copyright infringement (of all books, all short stories, all
    newspapers, all magazines, all web sites, all music, all movies,
    and all software, including the complete Windows source code)
  • Trademark infringement
  • Possession of child pornography
  • Espionage (unauthorized possession of top secret information)
  • Possession of DVD-cracking software
  • Possession of threats to the President
  • Possession of everyone’s SSN, everyone’s credit card numbers,
    everyone’s PIN numbers, everyone’s unlisted phone numbers, and
    everyone’s passwords
  • Defaming Islam. Not technically illegal, but you’ll have to go
    into hiding along with Salman Rushdie.
  • Defaming Scientology. Which IS illegal — just ask Keith Henson.

Also, your computer will contain all of the nastiest known computer viruses. In fact, all of the nastiest POSSIBLE computer viruses.

So amüsant, faszinierend und vielleicht auch verstörend dieser Gedanke auch sein mag, so falsch ist er trotzdem. Denn das Abbild einer Information alleine ist noch lange keine Information, es ist nichts. Eine Abfolge von Zeichen oder Ziffern wird erst durch Interpretation zur Information. Man könnte diese Information über Information als „Metainformation“ (oder als „Metadaten“) bezeichnen. Ohne Metainformation können Daten – egal welcher Art – nicht oder nur fehlinterpretiert werden. Wenn ich bei einem Musikstück Notenschlüssel und Notenhälse weg lasse, wer weiß dann noch, wie ich das Blatt halten muss, um die Musik zu Spielen? Leute wie John Cage haben genau damit experimentiert. Oder eine Zahlenfolge auf einem Schmierzettel wird erst dann nützlich oder gefährlich, wenn ich weiß, dass es sich um eine Kreditkartennummer handelt.

Auch Texte sind ohne Metainformation einigermaßen nutzlos. Texte können sogar unter Verwendung falscher Metainformation bewusst missbräuchlich verwendet werden. Ein Zeitungsartikel, dem die Überschrift „Glosse“ versehentlich abhanden gekommen ist ist schwer erträglich; wird die Information bewusst weg gelassen, dann geht der Text mit Sicherheit an dem vom Autor vorgesehenen Zweck vorbei. Das gilt leider auch für religiöse Texte und Schriften. Erst gestern habe ich wieder gehört, dass christlicher Glaube aufgrund der Offenbarung der Bibel „faktenbasiert“ sei. So einfach ist es aber nicht, die „Fakten“ sind Ergebnis von vorausgesetzter Metainformation. Und verschiedene Menschen setzen verschiedene Dinge voraus. Es funktioniert nicht, nur die Bibel zu lesen und sie sich selbst interpretieren zu lassen. Wer glaubt, dass er dies tut, der belügt sich selbst. Bestenfalls nur sich selbst.

BTW: An welcher Stelle von Pi befindet sich eigentlich die Lutherbibel von 1984?